Mutterschutz in den USA? Ein Vergleich mit Deutschland.

The challenge of maternity leave in the United States

Heute Morgen las ich in der Washington Post einen Artikel über Mutterschutz in den USA. Es ging darum, dass amerikanische Mütter oft verzweifeln, wie sie die Zeit nach der Geburt ohne Einkommen überbrücken können. Das Thema lässt mich nicht kalt, denn vor 16 Jahren war ich selbst in der gleichen Situation.

1999 wurde ich ungewollt schwanger. Mein damaliger Freund hat sich nie davon erholt, die Beziehung ging schon während der Schwangerschaft zu Ende. Natürlich hatte ich Angst. Meine Familie war weit weg in Frankreich, der Vater meines Kindes wollte nichts mehr mit mir zu tun haben, meine Freunde hatten noch keine Kinder. Wie sollte ich das Ganze alleine meistern? Zum Glück lebte ich damals noch in Deutschland.

Mutterschutz ist die Zeit in der Frauen nicht arbeiten sollten – kurz vor und nach der Geburt eines Kindes. In den USA wird es Maternity Leave genannt. Mit dem Wort hört aber Mutterschutz in den USA auf. Amerikanische Mütter dürfen zwar ruhen, bekommen jedoch in der Zeit selten finanzielle Unterstützung.

Es gibt keinen föderalen Mutterschutz in den USA.

Laut der International Labour Organization der Vereinten Nationen gibt es nur zwei Länder in der Welt, die keinen  bezahlten Mutterschutz haben. Es sind die USA und Papua-Neuguinea.

Der FMLA oder “Family and Medical Leave Act” ist ein bundesweites Gesetz, der am nächsten zum deutschen Mutterschutz steht. Er erlaubt Vollzeit-Angestellten in Unternehmen mit mindestens 50 Angestellten bis zu 12 Wochen unbezahlten Urlaub. Laut Bloomberg Businessweek (Printausgabe vom 18. Januar 2015) fallen ca. 50% aller berufstätigen Amerikaner unter diese Regelung. Die Anderen wie Freiberufler, Entrepreneure, Teilzeit-Angestellten und Angestellten in kleineren Unternehmen gehen leer aus.

Ganz anders in Deutschland

Im Unterschied zu den USA hat Deutschland ein bundesweit etabliertes soziales Netz. Nachdem ich jahrelang fleißig meine Steuern in Deutschland bezahlt hatte, hatte ich Anspruch auf Mutterschutz, auf Elterngeld und Kindergeld.

Ich war gerade im Keller und habe meinen alten Steuererklärungen und Lohnabrechnungen heraus gekramt: Während meiner 6-monatigen Babypause zwischen 1999 und 2000 bekam ich insgesamt 19.600 DM (ca. 10.000 $)

Woher?Wieviel?Wann?Steuerpflichtig?
MutterschaftsgeldArbeitgeber14.380 DM6 Wochen vor und 8 Wochen nach der GeburtJA
ErziehungsgeldStaat3.600 DMmonatlichNEIN
KindergeldStaat270 DMmonatlichJA

Schlupflöcher für Mütterschutz in den USA

Schlupflöcher ist vielleicht das falsche Wort. Es geht viel mehr darum im richtigen Bundesstaat zu leben oder für ein mutterfreundliches Unternehmen zu arbeiten.

In Amerika gibt es nur drei Bundesstaaten, die durch den Erlass eines Ländergesetzes (oder “state law”) einen bezahlten Mutterschutz gesetzlich vorschreiben: Kalifornien, New Jersey und Rhode Island. Weitere 10 Bundesstaaten haben “state laws” erlassen, die die FMLA verstärken: die Unternehmensgröße wurde z. B. auf mindestens 10 Mitarbeiter herabgesetzt.

In Kalifornien überbieten sich außerdem Unternehmen in Sache Sozialleistungen. Bloomberg schrieb in 2015, dass Facebook vier Monate bezahlter Mutterschutz bietet. Bei Google sind es – bei vollem Gehalt – drei Monaten für Väter und Adoptiveltern, und fünf Monate für Mütter. Nachdem Google einige Jahre zuvor festgestellt hatte, dass viele frische Mütter das Unternehmen verließen, fuhr das Unternehmen die für amerikanische Verhältnisse großzügige Regelung ein. Dadurch sank die Kündigungsquote um 50%.

Vor kurzem hat San Francisco als erste Stadt in den USA ein Gesetz eingeführt, die Arbeitgeber verpflichtet sechs Wochen bezahlten Mutterschutz an neue Eltern zu zahlen. Damit schlägt San Francisco bei weitem das soziale System Deutschlands.

Trotz mangelnden Mutterschutzes, mehr Kinder pro Frau in den USA als in Deutschland

Geld ist nicht alles. Es werden mehr Kinder pro Frau in den USA geboren als in Deutschland. Auch Papua-Neuguinea steht besser da!

Ranking according to the CIA Factbook
CountryChildren per woman
51Papua New Guinea3,16
110France2,08
142United States1,87
206Germany1,44
Source: The World Factbook

Warum werden in Deutschland so wenige Babys geboren?

In Deutschland liegt das Problem nicht in den Geldleistungen, sondern in der Mentalität. Sage ich. Diese Umfrage von Statistik bestätigt es: 46% der Deutschen glauben, dass ein Kleinkind darunter leidet, wenn seine Mutter beschäftigt ist.

Als ich 1999 schwanger war, wusste ich sehr genau, dass ich weiter arbeiten wollte und auch würde. Nicht nur des Geldes wegen. In meiner damaligen Firma habe ich nur Kopfschütteln geerntet, als ich nach einem halben Jahr zurückkam. Ich werde den Tag nie vergessen, als mich ein Kollege ermahnte “Frau Rochereul, Sie wissen doch: Kinder, die nicht von der Mutter erzogen werden, werden alle kriminell!! “

In Frankreich sind Mütter oft berufstätig

Ich bin in Frankreich geboren und aufgewachsen. Meine Mutter hat drei Jahren nach meiner Geburt wieder angefangen zu arbeiten. Bis auf zwei Ausnahmen hatten meine Freundinnen alle eine berufstätige Mutter – unabhängig von ihrem sozialen Milieu.

In 2014 arbeiteten in Frankreich 67,8% der Mütter*. Bei Müttern mit Kindern unter 3 stieg die Zahl sogar auf 82,4%. Erst in Großfamilien (ab 3 Kindern) geht der Anteil der berufstätigen Frauen zurück (53,4%).

In 2012 arbeiteten nur 60% der deutschen Mütter, davon waren 3/4 in Teilzeit.

Versorge dich selbst-Mentalität bei den Amerikanern

In den USA gibt es nicht nur kaum Sozialhilfe für Mütter, sondern auch kaum allgemeine Unterstützung vom Staat. Der “Affordable Care Act”, besser bekannt als Obamacare ist ein erster Schritt in Richtung Sozialhilfe für alle, die es brauchen. Doch wird es von vielen abgelehnt, denn in den USA herrscht bei vielen die Mentalität: arbeite und versorge dich selbst.

Der Washington Post Artikel legt Beweise dafür da: immer mehr Schwangeren appellieren auf Privat-Spenden. So Kieri Andrews, die 2.000 $ benötigt, um sechs Wochen zu Hause nach der Geburt ihres Babys zu bleiben. Oder Brianna Jones, eine 19-jährige MacDonalds Angestellte, die Unterstützung beim Zahlen ihrer Rente braucht.

No Maternity leave in the USA. Women go public.

Amerikaner sehen manchmal Deutschland als ein kommunistisches Land

Viele Amerikaner schütteln nur den Kopf, wenn ich erzähle, dass in Deutschland die Universitäten nichts kosten, Arbeitnehmer im Schnitt sechs Wochen bezahlten Urlaub haben, und alle Deutschen eine anständige Krankenversicherung haben.

Bei den Debatten um die jetzigen Präsidentschaftswahlen sind Sozialleistungen ein heiss umstrittenes Thema, vor allem bei den Demokraten. Bernie Sanders, ein sozialistischer Demokrat, wäre laut seiner Konkurrentin Hillary Clinton “a great president of Sweden”.

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Cartoon seen on tonyphyrillas.blogspot.com

Das Wort zum Schluss

Neben dem mangelnden bezahlten Mutterschutz gibt es in den USA auch kein Kindergeld. Außerdem sind die Kinder erst ab 5 schulpflichtig und Kitas für Kinder unter 5 sind recht teuer. Ich frage mich immer wieder, wie Amerikaner ohne Familie in der Nähe das Thema bewältigen. Bisher habe ich keine befriedigende Antwort gefunden. Als ich vor kurzem bei Trader Joe’s einkaufte, stand eine hoch-hochschwangere Kassiererin vor mir. Der Termin war für in ein paar Tagen aber sie bräuchte das Geld zum Leben, sagte sie mir.

* Quelle: INSEE

Foto credit by and.one

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  1. says: Tess

    Lebe jetzt in Illinois seit 6 Monaten. Bin in der 32. Woche schwanger. Könnte jeden Tag heulen. Krankenversicherung, Childcare,…. wollte eigentlich 4 Wochen vor der Entbindung das arbeiten aufhören aber sieht wohl doch so aus das meine Fruchtblase in meiner Arbeitsstelle platzen wird. Danach hab ich 6 Wochen unbezahlt ‘Medical Leave’ darunter fällt auch die Geburt …danach müsste ich meinen 6 Wochen altes Neugeborenes abgeben, dass wieder Geld rein kommt. Wenn nicht verliere ich den Job. Kinderbetreuung kostet hier ca 250$ WÖCHENTLICH (!) Ich komme auf jeden fall wieder zurück nach Deutschland, muss aber leider noch ein paar Jahre hier ausharren 🙁

    1. says: Catherine

      I feel your pain Tess. Die Nabelschnur wird mehrmals in unserem Leben durchtrennt. Bei der Geburt, beim ersten Mal ausgehen – ohne Baby, und klar auch, wenn man wieder arbeiten geht. Das erste Sleepover fällt mir noch ein…
      Meine Wörter werden wahrscheinlich keinen Trost bringen, aber französische Mütter gehen recht früh wieder, und vollzeit, arbeiten. Ihre Kinder tragen keinen Schaden, solange die Betreuung liebevoll und kindgerecht ist.
      Alles alles Gute für Sie und das Baby.

  2. says: Joachim Goosmann

    das ist in einem Land, wo die Familie noch einen sehr hohen Stellenwert besitzt für mich ein No – Go. Kann ich wirklich nicht nachvollziehen.

    Das sollte unbedingt schnellstmöglich geändert werden und wenn möglich so, wie es in Deutschland ist.

    1. says: Catherine

      Ich denke, dass es gegen die Mentalität geht. Sich selber versorgen, oder sich an die Gemeinde wenden, ist eher die Regel als die Ausnahme. Ich kenne persönlich keine Amerikaner, die nicht in irgendeine Art gemeinnützige Arbeit verrichten. Manche helfen in der Kirche aus, anderen bei der Feuerwehr. Meine Kinder lernen schon jetzt in der Grundschule, dass Spenden und Helfen einen hohen Stellenwert hat. Viele kleinere Museen oder Sehenswürdigkeit laufen nur mit der Hilfe von Freiwilligen.

      Mein Mann und ich haben gleich vor drei Jahren gedacht, dass Amerikaner wahrscheinlich nicht so lange leben würden wie in Deutschland, oder Frankreich. Dieser Artikel vom SPIEGEL scheint es zu bestätigen: “Die Lebenserwartung von US-Amerikanern ist erschreckend niedrig. Männer liegen in einem neuen Vergleich unter 17 Industrienationen auf dem letzten, Frauen auf dem vorletzten Platz. Die Studie nennt die Ursachen für das schlechte Abschneiden: Unfälle, Drogen – und Schusswaffen.” Ich würde dazu die schlechtere medizinische Versorgung hinzufügen…
      http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/usa-lebenserwartung-junger-amerikaner-niedriger-als-in-deutschland-a-876726.html